Marhaba

Marhaba - Ankommen in Deutschland "Man muss die Menschen direkt ansprechen"

Die deutsche Lebensart muss vielen Flüchtlingen fremd vorkommen: Bürokratie, Pünktlichkeit und Hausmannskost. In "Marhaba – Ankommen in Deutschland" erklärt Constantin Schreiber für n-tv auf Arabisch Themen des deutschen Alltags.

n-tv.de: Wie bist Du auf die Idee gekommen, Videos für Flüchtlinge zu machen, die den deutschen Alltag erklären?

Constantin Schreiber: In den vergangenen Wochen wurde viel über die "Flüchtlingswelle" berichtet. Ich vermisse aber, dass man auch die Menschen direkt anspricht, die nun in großer Zahl bei uns sind. Natürlich müssen sie sich eines Tages auf Deutsch mit uns austauschen können – das sehe ich als Grundvoraussetzung dafür, bei uns leben zu wollen. Aber das braucht Zeit, und bis dahin können und sollten wir auch etwas von uns in der Sprache vermitteln, die sie sprechen.

Welche Themen werden zur Sprache kommen?

Ich habe selbst lange Zeit in Ländern der arabischen Welt gelebt und gearbeitet und weiß, wie fremd man sich sein kann und welche Dinge, an die man vielleicht gar nicht denken würde, dem Gegenüber befremdlich vorkommen. Das sind natürlich Themen, von denen wir wissen, dass sie heikel oder ungewöhnlich sind für Araber: Die Art wie wir, und vor allem Frauen, sich kleiden. Wie wir unsere Freizeit verbringen. Das Essen ist ein großes Thema, aber auch Pflegeprodukte zum Beispiel für Babies und Kinder, die bei uns einfach ganz anders sind als die in Syrien. Vieles davon werden wir aufgreifen.

Was sind denn die größten Missverständnisse zwischen Deutschen und Arabern?

Für alles gibt es Regeln in Deutschland, das ist Aimans Eindruck.

Für alles gibt es Regeln in Deutschland, das ist Aimans Eindruck.

Auf beiden Seiten gibt es Vorurteile und Stereotypen. Viele Menschen setzen Araber mit Muslimen gleich, dabei gibt es insbesondere in Syrien, im Libanon und in Ägypten eine große Zahl an Christen. Und viele Muslime sind auch weniger religiös, als wir das erwarten. Andererseits genießen Deutschland und die Deutschen bei Arabern eine große Sympathie – weil wir keine koloniale Vergangenheit im Nahen Osten haben, weil Araber deutsche Autos und Einbauküchen lieben, und zu medizinischer Behandlung zu uns kommen. Wir gelten andererseits als humorlos, hart und etwas arm an Lebensfreude.

Wie können die Videos helfen?

Sie können natürlich Deutschland und unser Leben nicht vollkommen und in allen Details erklären. Das wollen wir auch gar nicht. Weil ich als Deutscher auf Arabisch manche Themen erläutere oder auch mit einem Augenzwinkern aufgreife, hoffen wir, dass wir damit auch auf der anderen Seite den Willen stärken, sich zu öffnen, sich auf unser Land einzulassen.

Menschen, die aus Syrien oder Afghanistan nach Deutschland kommen, kennen n-tv noch nicht…

Da setzen wir auf die Wirkung von sozialen Medien, die besonders dazu geeignet sind, über Länder- und Sprachengrenzen hinweg Inhalte zu verbreiten und die betroffenen Personen zu erreichen. Deshalb übrigens auch die Untertitelung. Auf Deutsch natürlich, weil wir wollen, dass auch Deutsche erfahren können, über was wir da eigentlich sprechen. Auf Arabisch aber, weil man davon ausgehen muss, dass über Facebook & Co. nicht jeder Nutzer die Inhalte mit Ton verfolgen wird. Wir sind die ersten, die sich in dieser Form – mit Videoinhalten und einer eigenen Sendung – direkt an die Flüchtlinge wenden. Das fällt schon mal auf und ich bin zuversichtlich, dass sich das auch herumsprechen wird. Wir werden aber auch den unmittelbaren Kontakt zu Flüchtlingen suchen.

Die potenzielle Zielgruppe wird immer größer. Die Zahl der Flüchtlinge in Deutschland soll allein in diesem Jahr auf eine Million Menschen steigen. Kann das so weiter gehen?

Wenn man sich das Ausmaß der Katastrophe in Syrien, aber auch in Libyen, Jemen und die schwierige Situation in anderen Ländern der Region anschaut, kann es keine Lösung sein, die Bevölkerung dieser Länder quasi umzusiedeln nach Europa, um sie hier in Sicherheit zu bringen. Das ist unrealistisch. Es muss das Ziel der deutschen Außenpolitik sein, darauf hin zu arbeiten, dass sich die Lebensbedingungen in den Ländern so verbessern, dass die Menschen in ihrer Heimat eine Perspektive haben. Da ist mit dem Afghanistaneinsatz, dem Krieg im Irak und der falschen Einschätzung der Entwicklung des arabischen Frühlings die Saat dessen gesät worden, was heute als "Flüchtlingsproblem" bei uns angekommen ist. Aber natürlich ist es eine menschliche Verpflichtung, jenseits dieser grundsätzlichen Überlegung, denjenigen zu helfen, die nach unvorstellbaren Strapazen bei uns Schutz suchen.

Du bist in der arabischen Welt bekannt, hast dort auch eine eigene Fernsehshow. Hilft das im Zugang auf die arabischen Menschen?

Der Schlüssel ist sicherlich die Sprache. Auch wenn die meisten Araber mehr oder weniger Englisch oder Französisch sprechen, so öffnet es doch ein ganz anderes Verständnis für die Kultur und die Befindlichkeiten, wenn man die Feinheiten und die besondere Tonalität der Sprache erfassen kann.

Was ist das Ziel des Projekts?

Wir starten jetzt erst einmal und werden dann sehen, was wir damit auslösen und erreichen. Ich glaube, Fragen des Zusammenlebens mit Menschen, die zu uns als Zuwanderer oder Flüchtlinge kommen, werden in den kommenden Jahren noch viel relevanter werden. Da müssen auch wir als Medienmacher uns überlegen, wie wir die Themen aufgreifen und angehen. Wir probieren jetzt mit diesem neuen Ansatz etwas aus, was bisher niemand gemacht hat. Das wird spannend und ich freue mich darauf.

Mit Constantin Schreiber sprach Malte Baumberger

Hier finden Sie das Interview auf Arabisch.

Quelle: ntv.de

Newsletter
Ich möchte gerne Nachrichten und redaktionelle Artikel von der n-tv Nachrichtenfernsehen GmbH per E-Mail erhalten.
Nicht mehr anzeigen